Fachkräftestrategie: 8 Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
Alle sprechen über den Fachkräftemangel. Wir sprechen darüber, mit welchen Maßnahmen Sie ihn lösen. Dabei wird deutlich: Ohne Kompetenzen lässt sich die größte Herausforderung der Zukunft nicht meistern.
Der Fachkräftemangel ist seit Jahren ein Dauerthema. Mittlerweile wird aber nicht nur darüber gesprochen, sondern der Mangel ist für jeden spürbar: Auf Handwerkertermine muss länger gewartet werden als auf den Arzttermin, Restaurants schließen früher und die Kontaktaufnahmen der Headhunter nehmen zu.
Die schlechte Nachricht lautet: Der Fachkräftemangel geht gerade erst los. Laut dem Institut für die deutsche Wirtschaft (IW) fehlen aktuell mehr als eine halbe Million Fachkräfte in Deutschland. Schon bis 2030 könnten rund drei Millionen Fachkräfte fehlen, so die Prognose des Basler Forschungsinstituts Prognos. 2040 dann bereits 3,3 Millionen.
Gründe für den Fachkräftemangel
Die Gründe für den Fachkräftemangel sind seit langem bekannt:
- Demografischer Wandel: Deutschlands Bevölkerung schrumpft und wird immer älter. Es scheiden mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus als nachkommen. Vor allem die Babyboomer, also die besonders geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1969, gehen nun in den Ruhestand und hinterlassen eine große Lücke. Je weniger Menschen geboren werden, desto weniger Erwerbstätige stehen für den Arbeitsmarkt zur Verfügung.
- Verlangen nach weniger Arbeit: Längst nicht nur die Jungen schauen bewusst auf eine ausgewogene Work-Life-Balance. Viele der Älteren wollen früher in Rente und sind dafür sogar bereit, Abschläge bei der Rentenhöhe in Kauf zu nehmen. Aktuell geht jeder Fünfte früher in Rente. Die Jüngeren wollen weniger Stunden in der Woche arbeiten. Die fehlende Zeit muss eigentlich von anderen Arbeitnehmenden aufgefangen werden, die aber nicht da sind.
- Globaler Wettbewerb: Auch der Arbeitsmarkt ist längst kein nationales Gefüge mehr. Gut ausgebildete Fachkräfte sind überall gefragt. Arbeitgebende sehen sich plötzlich in Konkurrenz mit ausländischen Akteuren. Nicht immer müssen Arbeitnehmende für einen ausländischen Arbeitgebenden wegziehen. In Zeiten von Homeoffice kann man auch in der Heimat für global agierende Unternehmen gearbeitet werden.
- Digitalisierung und Automatisierung: Die Technologisierung der Wirtschaft schreitet rasant voran – und könnte eine Lösung für den Fachkräftemangel sein. Doch zunächst einmal entstehen durch die Digitalisierung und Automatisierung neue Kompetenzbedarfe, die den Fachkräftemangel verschärfen.
Fachkräftemangel bremst Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum
Die Folgen des Fachkräftemangels sind beängstigend. Viele Unternehmen können ohne Fachkräfte kaum noch wachsen. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Achim Derck, schätzt, dass der Fachkräftemangel die Wertschöpfung um rund 90 Milliarden Euro bremst. Das entspricht circa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
All das sind keine abstrakten Zahlen mehr, sondern immer mehr Unternehmen spüren am eigenen Leib, wie fehlendes Personal das Wachstum ausbremst. Besonders betroffen sind kleine Betriebe, denen schlicht weniger Budget zur Verfügung steht, um die Attraktivität der eigenen Arbeitsplätze zu steigern.
Fachkräfte selbst profitieren zwar von steigenden Löhnen, aber nicht jedes Unternehmen kann grenzenlos Geld drauflegen. Zumal den kleinen im Vergleich zu bekannten Marken die Strahlkraft fehlt, die automatisch mehr Bewerbende anlockt.
Trotzdem reicht es nicht, nur über den Fachkräftemangel zu reden. Jedes Unternehmen muss sich spätestens jetzt eine Strategie überlegen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zumal wir nicht mehr nur über Fachkräfte reden. Längst lassen sich in vielen Branchen auch jene Jobs kaum noch besetzen, die keine besondere Ausbildung benötigen und durchaus auch von schnell anlernbaren Quereinsteigern ausgefüllt werden können.
Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
Im Folgenden beleuchten wir verschiedene Maßnahmen zur Bewältigung des Fachkräftemangels. Es gibt nicht die eine Lösung. Stattdessen muss jedes Unternehmen seine individuelle Strategie entwickeln, die aus einem geeigneten Maßnahmenmix besteht.
1. Recruiting modernisieren
Wie lässt sich das Recruiting an den Arbeitnehmermarkt anpassen?
Albert Einstein soll einmal gesagt haben: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ Wenn sich der Markt ändert, müssen Sie sich an die Marktgegebenheiten anpassen. Auf einem Arbeitnehmermarkt müssen sich Unternehmen um die Mitarbeitenden bewerben, und nicht mehr umgekehrt.
So wie Sie früher individuell kontaktiert werden wollten, müssen Sie nun auch die potenziellen Beschäftigten ansprechen. Was können Sie Bewerberinnen und Bewerbern bieten? Warum sind Sie der richtige Arbeitgeber? Und was unterscheidet Sie von anderen Unternehmen?
Dazu gehört es auch, den Bewerbungsprozess, der oft noch aus Zeiten des Arbeitgebermarktes stammt, zu hinterfragen. Bieten umfangreiche Bewerbungsunterlagen, die per Post eingeschickt werden müssen, wirklich einen Mehrwert oder kann der Prozess schlanker und bewerberzentrierter gestaltet werden? Welche Kommunikationswege nutzt die Zielgruppe? Muss das erste Gespräch immer vor Ort stattfinden, oder reicht auch ein Videocall, um Bewerbende mit größerer Anreise nicht abzuschrecken?
2. Mitarbeiterbindung erhöhen
Wie lassen sich Fachkräfte, die bereits im Unternehmen arbeiten, binden, um die Abwanderung von Fachkräften zu verhindern?
Wenn der Arbeitsmarkt so angespannt ist, dass sich kaum neue Fachkräfte finden lassen, sollten Sie alles dafür tun, um die Fachkräfte, die bereits bei Ihnen arbeiten, zu halten. Das ist ganz grundsätzlich eine gute Idee, denn selbst auf einem Arbeitgebermarkt entstehen für jede Vakanz und Neueinstellung hohe Kosten. Die Vakanzzeit, also die Dauer zwischen Veröffentlichung und Besetzung einer Stelle, spiegelt wider, wie dramatisch der Fachkräftemangel ist.
Je höher die Mitarbeiterbindung, desto geringer ist die Wechselbereitschaft des Personals. Und mehr noch: Loyale Mitarbeiter sind engagierter, motivierter und produktiver. Sie fungieren als Botschafter für das Unternehmen und locken weitere Arbeitnehmende an.
Die Mitarbeiterbindung hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Es reicht nicht, nur einen Obstkorb bereitzustellen. Aber jede Maßnahme erhöht die Mitarbeiterloyalität ein kleines Stück. Je mehr Faktoren Sie optimieren, desto stärker binden Sie Ihr Personal an Ihr Unternehmen. Einige Aspekte, denen Sie dabei Ihre Aufmerksamkeit schenken sollten:
- Mitarbeiterführung durch die Vorgesetzten
- Wertschätzung
- Einbringungsmöglichkeiten
- Betriebsklima
- Ausstattung des Arbeitsplatzes
- Work-Life-Balance (flexible Arbeitszeiten, Sabbatical, etc.)
- Aufstiegs- und Karrierechancen
- Sinnhaftigkeit der Arbeit
3. Employer Branding
Wie lässt sich eine sichtbare Arbeitgebermarke aufbauen, die neue Arbeitnehmende anlockt und vorhandene bindet?
Um Kunden anzulocken und zu binden, werden Marken aufgebaut. Diese Strategie lässt sich auch auf die Personalbeschaffung übertragen. Unter Employer Branding versteht man den Aufbau und die Pflege einer starken Arbeitgebermarke. Sie wirkt nach außen und nach innen. Einerseits sollen qualifizierte Fachkräfte angezogen werden. Andererseits geht es darum, motiviertes Personal möglichst langfristig zu halten (siehe auch Mitarbeiterbindung erhöhen).
Die Schaffung einer Arbeitgebermarke braucht Zeit. Mit Employer Branding wird die Personalbeschaffung langfristig gedacht und angegangen. So positionieren Sie sich idealerweise bereits bei Schüler*innen und Studierenden als attraktiver Arbeitgebender, um sich frühzeitig im Gedächtnis potenzieller Talente zu verankern.
Wie beim klassischen Markenaufbau auch, müssen Sie mit Ihrer Employer Brand Ihre Vorzüge und Alleinstellungsmerkmale als Arbeitgebender deutlich machen. Denken Sie daran, dass jede Marke über Werte verfügt, auf die junge Arbeitnehmende genauso blicken, wie auf monetäre Anreize. Alles, was zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität beiträgt, wirkt sich auch positiv auf Ihre Arbeitgebermarke aus.
Wenn sich Ihre Mitarbeitenden mit Ihrer Employer Brand identifizieren, werden sie zu Markenbotschaftern, die weitere Arbeitnehmende anlocken.
4. Ausbildung ausbauen
Wie gewinnt man junge Menschen, um den Fach- und Führungskräftenachwuchs inhouse auszubilden?
Die Ausbildung eigener Fachkräfte ist eine der nachhaltigsten Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Das gilt insbesondere für die duale Ausbildung. Junge Menschen können gezielt den Anforderungen entsprechend ausgebildet werden. Während der in der Regel dreijährigen Ausbildungszeit bauen sie eine enge Beziehung zum Unternehmen auf, von der Sie nachhaltig profitieren.
Fangen Sie früh an Praktika sowie Neben- und Ferienjobs anzubieten. Je eher Sie mit jungen Menschen in Kontakt kommen, desto früher können Sie mit der Mitarbeiterbindung beginnen. Unterschätzen Sie niemals die Macht, die ein zweiwöchiges Praktikum hat. Wenn Sie Praktikant*innen wertschätzen und fördern, statt diese nur als billige Arbeitskräfte zu betrachten, werden sie sich später mit großer Wahrscheinlichkeit für eine Ausbildung in Ihrem Betrieb entscheiden.
Um Auszubildende im Betrieb zu halten, sollten Sie ihnen frühzeitig die Chance geben, in Ihrem Unternehmen zu wachsen. Übertragen Sie Auszubildenden Verantwortung und zeigen Sie Perspektiven auf, die zum Bleiben motivieren.
5. Talentförderung
Wie erkennt man Talente und ihre Potenziale?
Talente sind nicht nur gute Fachkräfte, sondern haben sogar das Zeug zur Führungskraft. Viele Unternehmen wissen gar nicht, welche Talente und Potenziale in ihren Mitarbeitenden schlummern, weil sie sich jahrelang nicht dafür interessiert haben. War ein personeller Bedarf vorhanden, hat man sich auf dem externen Arbeitsmarkt bedient, statt intern nach geeigneten Kandidat*innen zu suchen.
Mit einem strategischen Talentprogramm werden Talente identifiziert und gezielt gefördert, um sie auf neue Positionen vorzubereiten. Im Fokus stehen dabei Kompetenzen, die für den Tätigkeitsbereich benötigt werden. Ob es sich um ein Talent handelt, erkennt man unter anderem an der Kompetenzausprägung, die sich mit KODE® messen lässt.
6. Individuelle Personalentwicklung
Wie lassen sich aktuelle und zukünftige Fachkräfte auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft vorbereiten?
Personalentwicklung darf sich nicht nur auf Auszubildende und Talente beschränken, sondern muss alle Mitarbeitenden einschließen. Sie muss entlang des Geschäftsmodells und seiner Bedürfnisse ausgerichtet werden. Lebenslanges Lernen ist unverzichtbar, damit Ihr Unternehmen weiterhin wettbewerbsfähig bleibt. Auch hier geht es weniger um nachschlagbares Wissen als vielmehr um Kompetenzen, die Handlungsspielräume eröffnen. Kompetente Mitarbeitende sind in der Lage, mit Krisen und Problemen umzugehen sowie Lösungen zu finden.
Jede Stelle braucht andere Kompetenzen. Es nützt also nichts, alle Beschäftigten zum Frontalunterricht zu schicken. Stattdessen müssen individuelle Entwicklungsprogramme geschaffen werden, die praxisorientierte, selbstbestimmte und nachhaltige Kompetenzentwicklung ermöglichen. Denn Kompetenzen lassen sich nicht lernen, sondern sie müssen aktiv trainiert werden. E-Learning, Social Blended Learning und Social Workplace Learning sind moderne Lernmethoden, die den Kompetenzaufbau nachhaltig fördern.
7. Digitalisierung und Automatisierung
Wie lässt sich der Fachkräftebedarf mithilfe moderner Technologie reduzieren?
Keine Frage: Um den technologischen Fortschritt voranzutreiben, bedarf es erst einmal gut ausgebildeter Fachkräfte. Mit smarten Lösungen jedoch lassen sich Prozesse digitalisieren, automatisieren und verschlanken. Das erfordert zunächst Investitionen, spart langfristig aber Personal und Geld. Denn Maschinen können zwar ausfallen, sie sind aber weder krank noch verletzen sie sich. Letztlich wird also sogar die Betriebssicherheit erhöht.
Ein typisches Beispiel ist die Logistikbranche, wo in den Zentrallägern zunehmend Roboter die Oberhand gewinnen. Statt vieler Picker, die durch die Hallen laufen und die bestellten Waren einsammeln, bringen viele smarte und verhältnismäßig günstige Roboter die Regale mit den Waren direkt an die Packstationen. So lässt sich eine große Menge Kommissionierungspersonal einsparen und an gegebenenfalls Positionen einsetzen, die sich nicht so einfach automatisieren lassen.
8. Geschäftsprozesse hinterfragen und anpassen
Wie lassen sich Geschäftsprozesse an den Fachkräftemangel anpassen, um den Personaldruck zu reduzieren?
Ist nicht mehr ausreichend Personal vorhanden, um die üblichen Geschäftsprozesse durchführen zu können, müssen Sie sich fragen, inwiefern sich diese anpassen lassen oder ob sie überhaupt vonnöten sind. Das kann sogar so weit gehen, dass das gesamte Geschäftsmodell hinterfragt wird. Lohnt sich der personelle Einsatz überhaupt für den erwirtschafteten Umsatz? Oder lassen sich Abstriche machen, die vielleicht gar nicht so sehr ins Geld gehen, aber massiv Personal einsparen? Werde dadurch neue Spielräume für lukrativere Tätigkeiten geschaffen?
Beispiel Bäckerei: Die Nachtschichten schrecken viele Bewerberinnen und Bewerber ab. Kaum jemand möchte heute noch die damit verbundenen Abstriche im Sozialleben hinnehmen. Dabei ist das gar nicht zwingend notwendig. Mache Bäckereien besinnen sich zurück auf natürliche Zutaten und lange Teigführung. Die Backwaren, die heute zu Ende gebacken und verkauft werden, werden schon am Vortrag vorbereitet und haben dann ausreichend Zeit, um aufzugehen. Niemand muss mehr die ganze Nacht schuften, damit es morgens frische Brote und Brötchen gibt.
Andere Bäckereien haben denselben Effekt erzielt, indem sie klassische Frühstücksprodukte, die ohnehin kaum Gewinnmarge geboten haben, aus dem Sortiment strichen und sich nun nur noch auf Brot konzentrieren. Diese werden am Vortrag vorbereitet und gehen über Nacht. Sie können am Morgen in aller Ruhe gebacken und ab Mittag verkauft werden.
Fazit: Kompetenzen im Zentrum der Fachkräftestrategie
Viele der geschilderten Maßnahmen weisen Schnittmengen auf. Letztlich geht es darum, möglichst viele Maßnahmen zu ergreifen und miteinander zu kombinieren, um sich von der angespannten Wettbewerbssituation auf dem Arbeitsmarkt so gut wie möglich unabhängig zu machen.
Alle Maßnahmen haben eins gemeinsam: Sie erfordern Kompetenzen. Die Kompetenzentwicklung sollte deshalb auch im Fokus Ihrer Fachkräftestrategie stehen. Denn nicht nur die Fachkräfte selbst müssen Kompetenzen mitbringen. Auch diejenigen, die für die Fachkräftegewinnung und -bindung verantwortlich sind, benötigen Kompetenzen, um die Herausforderung auf einem angespannten Arbeitsmarkt meistern zu können.
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