Dr. Reinhard Slanic über die Einheit von Tugenden und Kompetenzen

Dr. Reinhard Slanic über die Einheit von Tugenden und Kompetenzen

3. Platz beim KODE® Best Practice Award 2019

Wie bereits im Vorjahr sicherte sich Dr. Reinhard Slanic von der Theresianischen Militärakademie beim diesjährigen KODE® Best Practice Award den dritten Platz. Im Interview erläutert der Oberst, warum Tugenden für die Offiziersausbildung von zentraler Bedeutung sind und wie sie in der Militärakademie analysiert werden.

Herr Dr. Slanic, herzlichen Glückwunsch zur Verteidigung des dritten Platzes beim KODE® Best Practice Award. Warum war es Ihnen wichtig den Zusammenhang zwischen Kompetenzen und Tugenden herzustellen?

Das Projekt, mit dem ich im Vorjahr gewonnen habe, hat sich rein um die Kompetenzentwicklung gedreht. Im Laufe der Projektumsetzung ist klar geworden, dass es zum Teil Verständnisschwierigkeiten gibt, weil Kompetenzen für viele, die an der Kompetenzentwicklung arbeiten, etwas Neues sind.

Da ich selbst schon lange im militärischen System zu Hause bin, habe ich mich daran erinnert, dass es noch etwas anderes gibt, das eigentlich schon viel länger Gültigkeit besitzt. Es gibt sittliches Verhalten in Form von Tugenden, die festgeschrieben sind. Nicht nur bei uns im Militär, sondern auch in anderen Betrieben. Zum Beispiel in allgemeinen Dienstvorschriften, Verhaltensvorschriften, Grußpflichten, etc. Das stellt für mich eher etwas Mikroskopisches dar. Ich glaube, die Kompetenzdiagnostik wird durch diese Tugenden ergänzt.

Im Kompetenzerwerb stecken viele Verhaltensdefizite, die vor allem im militärischen Bereich gefordert sind. Für die habe ich versucht etwas zu finden, womit man diese Lücke schließen kann. Bereits vor fünf Jahren haben wir uns auf einem Symposium theoretisch und wissenschaftlich mit dem Thema Tugenden und Kompetenzen auseinandergesetzt. Dabei haben wir auch den Kompetenzatlas nach Heyse und Erpenbeck behandelt.

Der Anstoß dafür, dass aus den theoretischen Gedanken ein praktisches Projekt wurde, gab die Problematik, dass wir über das Vorleben der jungen Leute, die sich bei uns bewerben, um in die Offiziersausbildung aufgenommen zu werden, nichts wissen. Ihre Tätigkeiten und Leistungen sind lediglich in quantitativer Form niedergeschrieben, nämlich in Form von Zeugnissen und anderen Beurteilungen.

Mir stellte sich deshalb die Frage, wie ich Informationen über die Personen bekomme, die zu uns kommen will. Und zwar am besten vom ehemaligen Vorgesetzten. Die Lösung war die Entwicklung eines Fragebogens, der die Kardinaltugenden mit den entsprechenden Verhaltensformen abbildet. Das hat in der Praxis super funktioniert. Das heißt, die Vorgesetzten haben gute und gültige Aussagen getroffen, so dass wir uns ein Bild von der Person machen konnten.

Was nun folgen wird, ist ein zusätzlicher Referenzbogen. Wenn die betroffene Person nach der Ausbildung in das Berufsfeld eintritt, wird dieser Referenzbogen ausgefüllt, der sich wiederum auf die Tugenden bezieht und natürlich in Verbindung zu den Kompetenzen steht. Somit weiß auch der nächste Vorgesetzt, wer zu ihm kommt.

Das eine ist also die wissenschaftliche Fundamentierung gewesen. Althergebrachte, leicht verständliche Verhaltensform gegenüber den Handlungsdispositionen der Kompetenzen. Durch die Fragebögen bekommen wir nun ein konkretes Bild von den Personen, die sich bewerben.

Das Ziel ist es also, einen besseren Überblick darüber zu bekommen, welche Tugenden und Kompetenzen eine Person mitbringt, die sich um einen neuen Posten bewirbt?

Ja, genau. Wir haben festgelegte Leitbilder, in denen es immer wieder um Verhaltensnormen geht, die über die betriebliche Notwendigkeit hinaus formuliert sind. Wenn ich zum Beispiel sage, dass sich Mitarbeiter im Unternehmen wohlfühlen sollen, dann hat das Wohlfühlen nichts mit Kompetenzerwerb zu tun, sondern ist ein Verhaltenszustand. Deshalb haben wir die Kompetenzen mit den Tugenden ergänzt.

Welche Rolle spielen Werte für Tugenden?

Werte sind für mich ebenfalls Verhaltensdispositionen, die sehr viel mit der Einstellung zu tun haben. Wenn es um systemische Werte geht, stellt sich die Frage, welche Werte das Unternehmen und welche Werte jeder für sich persönlich hat. Wenn man differenziert, sind die Tugenden im Vergleich zu den Werten eigentlich die sittlichen Verhaltensmuster, die von der Gesellschaft geprägt bzw. bestimmt werden. Fleiß und Disziplin zum Beispiel sind Sekundärtugenden, die ja schon vorgelebt werden. Das heißt, die bringe ich schon mit.

Wenn Organisationen sich für ein Wertemanagement entscheiden, dann stehen die Werte im Mittelpunkt, die die Organisation für sich ausformuliert hat. Und wenn ich einen Teambuilding-Prozess vorantreibe, dann will ich eigentlich von jedem Einzelnen mehr oder weniger eine Wertesystematik oder Wertezugehörigkeit haben, damit letztlich das Team gut wird. Denn die Werte des Einzelnen sind die Summe des Teams. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich mein sittliches Verhaltensmuster ablegen muss. Das kann ich behalten.

Wir haben mit unserem Fragebogen die Tugenden abgefragt. Wenn der Bewerber diesen nicht entsprochen hat, ist er aufgrund dieses Defizits nicht genommen worden. Bevor die Tugenden vor der Einstellung geprüft wurden, war es ja auch so, dass gegebenenfalls Konsequenzen gezogen wurden. Pflichtbewusstsein und Pünktlichkeit sind zwei typische militärische Tugenden. Wenn die jemand nicht besitzt, dann gibt es zwar das Regulativ der disziplinären Maßnahmen, aber wenn das ungeeignete Verhalten überhandnimmt, dann ist die entsprechende Person nicht mehr tragbar und muss entlassen werden. So wird das im Endeffekt auch gelebt.

Natürlich kann man Pünktlichkeit bis zu einem gewissen Grad lernen und jemanden in die richtige Richtung lenken. Aber wenn er niemals auch nur einen Hauch von Pflichtbewusstsein hatte, kann ich ihn nicht um 180 Grad drehen. Und so ist es bei den Kompetenzen ja auch. Für ihre Entwicklung muss eine gewisse Grundlage vorhanden sein. Es geht ja nicht darum, ob eine Kompetenz vorhanden ist oder nicht. Sondern welche mehr und welche weniger stark ausgeprägt sind.

tugenden

Es wird also mithilfe des Verfahrens geschaut, ob die notwendigen Tugenden vorhanden sind oder nicht. Wenn das nicht der Fall ist, wird aber kein Entwicklungsprozess gestartet, um die fehlenden Tugenden zu fördern?

Genau. So ein Tugenderwerb kann drei, vier, fünf Jahre dauern und die Zeit dafür ist einfach nicht da. Wer unpünktlich ist, der hat vielleicht schon sein ganzes Leben eine laissez faire Ausbildung genossen, das kann man nicht in ein paar Tagen ändern. Unpünktlichkeit ist beim Militär – und wahrscheinlich bei allen anderen Organisationen auch – ein Faktor, der ein No-Go ist. Wohingegen bei den Kompetenzen das Gleiche gilt: Wenn keine vorhanden sind, brauche ich das Fördern nicht anfangen.

Welche vier Kardinaltugenden, im Sinne von Potenzialen bzw. Charaktereigenschaften, haben Sie welchen vier Grundkompetenzen gegenübergestellt?

Dem Feld der personalen Kompetenz wurde die Treue zugeordnet. Die Kardinaltugend im sozial-kommunikativen Kompetenzbereich ist die Kameradschaftlichkeit, die viel mit Gerechtigkeit zu tun hat. Sie bringt ein faires und gerechtes Miteinander zum Ausdruck. Da geht es eigentlich um das Beziehungsmanagement. Wie ich also mit anderen umgehe.

Im Kontext der Aktivitäts- und Handlungskompetenz steht die Tugend Tapferkeit. Und die Disziplin wird der Fach- und Methodenkompetenz zugeordnet. Sie wird hier allerdings etwas anders definiert als zum Beispiel bei der personalen Kompetenz, bei der sie auch vorkommt. Es geht nicht nur um Fachwissen allein, sondern eine disziplinierte Methodik bei dessen Anwendung.

Von diesen vier Verhaltensbeschreibungen wurden vier Grundfragen abgeleitet und dem Fragebogen zugrunde gelegt. Der Fragebogen umfasst insgesamt 16 Fragen in vier Bereichen, die mit einer Einschätzung von eins bis sechs beantwortet werden können. Die jeweilige Beurteilung, die ein Vorgesetzter tätigt, muss natürlich begründbar sein.

Bei der Beurteilung der Tugenden spielt in der Militärakademie die Beobachtung eine wichtige Rolle. Welche Maßnahmen ergreife Sie, um durch Beobachtung beurteilen zu können?

Wir haben auf der einen Seite die Beobachtungen der Vorgesetzten, die ja viel länger dauern. Der Vorgesetzte führt die Person zwei, drei Jahre und kann alle vier Bereiche über einen langen Zeitraum intensiv beobachten.

Unser Ziel ist es aber jetzt in weiterer Folge auch vor der Ausbildung Situationen zu schaffen, in denen das Verhalten beurteilbar gemacht wird. Das heißt, wenn es um die Tapferkeit geht, die zum Beispiel durch Mut und eine gewisse Risikobereitschaft zum Ausdruck kommt, muss eine Handlungssituation geschaffen werden, in der die Person gefordert wird und sich diesbezüglich beweisen kann.

Diese kurze Sequenz von drei bis vier Monaten, in denen die Beobachtung vor der Ausbildung stattfindet, ist zwar nur ein kleiner Ausschnitt, der die Lagebeobachtung nicht ersetzen wird, aber ich bekomme in dieser Zeit einen guten ersten Eindruck, der realen Handlungssituationen entstammt.

Diese Handlungssituationen zu schaffen ist die größte Herausforderung. Am schwierigsten wird das sicherlich bei der Treue sein, wo es um die personale Kompetenz der Loyalität geht. In drei bis vier Monaten zu entscheiden, ob ein Bewerber treu, zuverlässig und der Organisation gut gesinnt ist, ist eine schwierige Aufgabe. Kameradschaftlichkeit und Disziplin lassen sich da schon einfacher beurteilen.

Dr. Reinhard Slanic

In welchem Bereich haben Sie durch die Auswertung der Fragebögen die größten Defizite bei den Bewerbern für die Offiziersausbildung festgestellt?

Das größte Defizit, das die Offiziersanwärter in unserem Studiengang im Moment haben, ist eine den Anforderungen entsprechend zu geringe sozial-kommunikative Kompetenz im Bereich der Kameradschaft. Das liegt daran, dass ihnen gewisse andere Dinge im persönlichen Bereich einfach wichtiger sind. Diese Priorisierung ist zwar schön, aber es muss auch die Kameradschaftlichkeit gelebt werden. Diejenigen, die dieses Defizit haben, arbeiten daran und schaffen es auch, sich besser mit anderen auszutauschen, zu kooperieren und sich gegenseitig zu unterstützen.

Wie gelingt es im straff organisierten und stark hierarchisch geprägten Militär Freiräume für die Selbstorganisation zu schaffen, die ja elementar für die Entwicklung von Kompetenzen respektive Tugenden ist?

In den drei Jahren der Ausbildung führen wir mit jeden Auszubildenden jedes Jahr Kompetenzbilanzgespräche. Ein Offiziersanwärter hat also jeweils ein Jahr Zeit, selbst Wege zu finden, wie er die Kompetenzen stärkt, die er braucht. Wenn die Institution das für notwendig und richtig hält, gibt es theoretisch auch die Möglichkeit, das im Rahmen von Ausbildungssequenzen, Coaching oder ähnlichem zu tun. Das ist bisher aber noch nicht vorgekommen, weil die Personen es immer selbst hinbekommen haben.

Das ist nicht zuletzt der Beratung seitens des KODE®-Beraters zu verdanken, die ein wichtiges Instrument ist. Denn hier werden den Personen Vorschläge gemacht, wo sie sich ihre individuellen Kompetenzen erwerben können.

Dass es selbstorganisiert so gut klappt, liegt auch daran, dass es im Interesse der Anwärter selbst ist. Jetzt kommen wir nämlich wieder in das Hierarchische. Denn der Erfolg der Kompetenzentwicklung entscheidet natürlich auch über den Verbleib oder Nicht-Verbleib in der Offiziersausbildung.

Wenn der Wille der Veränderung nicht erkennbar ist, ist die Person für uns in weiterer Folge nicht tragbar. Denn sie zeigt damit ja, dass sie nicht veränderungswillig oder leistungsfähig ist. In der Regel haben die Personen, die sich in der Ausbildung befinden, also ohnehin eine gewisse Grundmotivation sich diesbezüglich zu engagieren, weil sie wissen, dass das auch über ihre weitere Karriere entscheidet.

Dieses Interview führte Matthias Koprek für KODE®.

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